Der Große Brockhaus, 15. Aufl., Ergänzungsband A—Z (1935), S. 46.
Argentinische Literatur. Die Zusammenballung des geistigen Lebens in Buenos Aires und der Umstand, daß sich der Argentinier im Unterschied zu manchen andern Iberoamerikanern durchaus als »Weißer« fühlt, begünstigten die Entwicklung einer Bildungsliteratur, die den Blick häufig nach außen richtet und nur z. T. argentin. Gewand trägt. Als Lyriker war der wandlungsfähige Leopoldo
Lugones längere Zeit führend. Einen Durchschnitt durch die z. B. glatte, z. B. barocke Lyrik der zwanziger Jahre bietet die
»Exposición de la actual poesía argentina« von Pedro-Juan Vignale und César Tiempo (Buenos Aires 1927). Feingeschliffen und still sind die
Gedichte von Fermín Estrella Gutiérrez (»Los Caminos del mundo«, 1929),
Alvaro Yunque findet den Stoff zu seinen mitleidsvoll-besinnlichen Strophen meist in den Vorstadtstraßen der Hauptstadt (z. B. »Versos de la calle«, 1924). Die Literatur mit eigentümlich argentin. Prägung ist verhältnismäßig jung. Sie hat wertvolle Vorläufer im 19. Jahrh. In der Darstellung
»Facundo, civilización y barbarie« (1845) gab Faustino Domingo → Sarmiento (Bd. 16) ein Bild von Land und Leuten und den unruhigen polit. Verhältnissen seiner Zeit. Das Versagen demokrat. Ideale erhellt aus der romanartigen Abhandlung
»Luz del Día en América« (1875) von Juan Bautista Alberdi. Aufschluß über die argentin. Indios gibt
»Un viaje a los Indios ranqueles« (1870) des Generals Lucio V. Mansilla. Eine romant. Schilderung des Gaucholebens ist das Volksepos
»Martín Fierro« (1872) von José Hernández, das den Kampdialekt zur Schriftsprache macht. Eine ähnl. Haltung hat der viel spätere Roman
»Don Segundo Sombra« von Ricardo Güiraldes (1930; deutsch 1934). Realistischer, sachlicher, im Grunde richtiger zeichnet den Kamp
Benito Lynch (z. B. »Los caranchos de la Florida«, 1931); in derselben Hinsicht beachtenswert sind die Werke von Manuel →
Gálvez (Bd. 21) und Elías →
Castelnuovo (Bd. 21). Gálvez hat u. a. auch die Halbwelt von Buenos Aires, Castelnuovo, nach dem Muster Maxim
Gorkijs, das »Lumpenproletariat« Stoff geliefert.
Die Kordillere schildert »El viento blanco« (1925) von Juan Carlos Dávalos. In das Waldland von Santiago del Estero führen die Skizzen
»El pais de la selva« von Ricardo → Rojas (Bd. 16), dessen vierbändige »Historia de la literatura argentina« die reichhaltigste und gründlichste ihrer Art ist; den Stoff zu seinem Drama »Elelyn«「Elelín」 entnahm er der argentin. Konquistadorenzeit (vgl. »La obra de Rojas, 25 años de labor literaria«, Buenos Aires 1928). Von den zahlreichen nach Buenos Aires übergesiedelten Schriftstellern uruguayscher Herkunft (z. B. H.
Quiroga, E.
Castelnuovo) erschließt
Enrique Amorim ebenfalls das Kamp- und Waldland (z. B. »Tangarupá«, 1929). Sinn für Humor beweist
Enrique Méndez Calzada (etwa in »Las tentaciones de Don Antonio«, 1929). Einen bemerkenswerten Anteil an der Literatur haben die zahlreichen Juden (z. B. Samuel
Eichelbaum). Eigentl. Gettodichtung, vollkommen abgeschlossen nach außen und mit warmem Gefühl für Familie und Volk, ist das
»Sabatión Argentino« (1933; als »Libro para la pausa del Sábado« schon 1930) von César Tiempo.