Der Große Brockhaus, 15. Aufl., Ergänzungsband A—Z (1935), S. 49—50.
Artgemäßes Christentum, eine in der neuesten Zeit erhobene Forderung, die das von Lagarde, A. Bonus, H. St. Chamberlain u. a. erstrebte Ziel einer
Germanisierung des Christentums als einer »deutschen Ausgabe des Evangeliums« wieder aufnimmt und vom Rassegedanken her neu zu begründen sucht. Ausgangspunkt ist dabei die Frage, ob nicht der Übergang der german. Stämme zum Christentum die religiös-sittliche Eigenkraft durch plötzliche Überfremdung mit jüd., griech. und röm. Anschauungen gelähmt habe.
Diese Frage ist von Bedeutung einerseits in der Deutschen Glaubensbewegung, die das Christentum wieder abstreifen und aus nordisch-german. Anlagen heraus eine eigene artgemäße Religion schaffen möchte, anderseits aber in dem Streben, gerade das Christentum selbst artgemäß zu gestalten, es gleichsam ins Deutsche oder Nordische zu übersetzen (Deutsche Christen). Als Überfremdung wird in dieser zweiten Richtung nicht der Glaube an die Offenbarung Gottes in Jesus Christus empfunden. Denn Jesus selbst oder doch der Gehalt seiner Verkündigung erscheint als übervölkisch, als außerhalb der Rassengegensätze stehend; überdies versucht man, auf die galiläische Herkunft Jesu die Behauptung arischer Abstammung zu gründen. Dagegen will man das Alte Testament oder wenigstens seine jüdischen Inhalte aufgeben und den Apostel Paulus, der als im besonderen Sinne jüdisch gilt, mindestens in den Hintergrund treten lassen. Sachlich weckt den Widerspruch vor allem die alttestamentlich-paulinische Betonung der Herrenstellung Gottes gegenüber Welt und Mensch, entsprechend die der Sünde und der Versöhnung durch Christi Tod; »positives Christentum« sei das Christentum, das nicht den Tod, sondern das heldische Leben Jesu in den Mittelpunkt stelle (Rosenberg). Luther wird meist als Führer zur Verdeutschung des Christentums anerkannt, unter Zurückstellung der paulinischen Grundlagen seines Denkens. Daneben werden Urkunden wie der »Heliand«, noch stärker die deutsche Mystik (Meister Eckart) und der deutsche Idealismus herangezogen.
Die Schwierigkeiten dieser Bestrebungen liegen nach Ansicht der Gegner in der Unklarheit darüber, was in deutscher Frömmigkeit als artgemäß zu bezeichnen ist, ferner in der Frage, ob nicht durch das Auftreten übervölkischer Offenbarung die völkische Art notwendig eine Umprägung erfahren muß, die zwar den Leugnern dieser Offenbarung als Überfremdung und Verderbung erscheint, von den sie Aufnehmenden aber als Läuterung und Vertiefung erfahren wird; weiter besteht die Sorge, daß die Übersetzung des Christentums ins Deutsche über die notwendige Veränderung der Formen hinaus auch inhaltliche Veränderungen mit sich bringt. Um die überaus mannigfaltige Stellungnahme zu diesen Fragen geht in neuester Zeit die Auseinandersetzung, vor allem in der deutschen evang. Kirche und Theologie.