Der Große Brockhaus, 15. Aufl., Ergänzungsband A—Z (1935), S. 61—62.
Auslanddeutsche Dichtung, Dichtung, die sich bei den außerhalb des geschlossenen deutschen Sprachgebiets wohnenden deutschen Volksgruppen entwickelt hat. Je nach Art und Aufbau dieser Volksgruppen ist auch ihr Schrifttum stammesmäßig, landschaftlich und soziologisch verschieden. Die Bedeutung der A. D. liegt bes. in der Gestaltung und Pflege des Heimat- und Deutschtumsgedankens auf umkämpftem Boden. Den fremden Völkern hat sie manche Anregungen gegeben. Der Deutschbalte
Kreutzwald ist Verfasser des estn. Nationalepos Kalewipoeg; aus siebenb.-sächs. Anregungen entstanden die Anfänge der rumän. und der magyarischen Literatur. Als größte Gruppen der A. D. mit einer geschlossenen Eigenentwicklung sind vor allem drei zu nennen: die → Siebenbürgische Literatur (Bd. 21), die →
Deutschbaltische Literatur (Bd. 21), die → Deutschamerikanische Literatur (Bd. 4). — Die deutschen Kolonisten der
Zips entwickelten seit dem 13. Jahrh. eine ihre gewerbeständische Gemeinschaft spiegelnde Dichtung (Schatzgräberliteratur, Reiminschriften, Urteilsprüche
「Urteilssprüche」 in Versen, Lieder, Volksstücke). Heute gibt es dort noch eine mundartliche deutsche Dichtung. Gebürtiger Zipser ist Erwin Guido
Kolbenheyer. — Aus dem Kreis der
Donauschwaben, die seit dem ersten Viertel des 18. Jahrh. auf ungar. Boden siedelten, wurde in Reichsdeutschland Adam
Müller-Guttenbrunn bekannt. — Aus der Gruppe der Deutschen, die die
Bukowina seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. besiedelten, kam Karl Emil
Franzos. Als eine geistig wirksame Oberschicht entwickelten sich in mehreren Jahrhunderten die Gruppen der
Rußlanddeutschen. Sie schenkten dem deutschen Geistesleben Dichter wie Friedrich Maximilian
Klinger und Elisabeth
Kulmann, in jüngster Zeit Henry von
Heiseler und Eduard
Stucken. — Noch fast ganz unerforscht ist die A. D. in
Südamerika.
Neben den bisher genannten Gebieten A. D. steht die Dichtung der Gebiete, die ihre urspr. Verbindung mit dem Mutterland durch polit. Ereignisse (Abtrennung) verloren haben. Man bezeichnet sie heute vielfach als »Grenzlanddeutsche Dichtung«. A. D. dieser zweiten Art ist die → Sudetendeutsche Literatur (Bd. 21), die Dichtung Südtirols und des Elsasses seit 1918. Die ganze Frage der Zuordnung und Aufteilung A. D. ist heute noch im Fluß.