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Brockhaus
Name a Bauerndichtung
ID b brhe•e15•v21•b•B•Bauerndichtung
Category d entry
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PageID q p08100—p08200
Scan v Bauerndichtung
Text w

Der Große Brockhaus, 15. Aufl., Ergänzungsband A—Z (1935), S. 81—82.

Bauerndichtung. Daraus, daß das Bauerntum im Ablauf der Jahrhunderte nicht wie Adel oder Bürgertum zur herrschenden Kulturschicht wurde, erklärt es sich, daß die B. meist Werk der andern, kulturell herrschenden Stände war. Daher hatte auch der Standesgegensatz in irgendeiner Form lange Zeit für die B. grundlegende Bedeutung. B. in einem reineren Sinn entsteht dann, wenn das Bauerntum nicht mehr als Stand, sondern als Sein und Schicksal künstlerisch erfaßt wird, wenn seine Bindung an die ihm von der Natur gegebenen Gesetze Ausgangspunkt seiner Wesensdeutung wird.
Als Vorstufe der B. darf man wohl den altnordischen Bauernroman der Saga des Mittelalters ansprechen. Die deutsche B. läßt sich im wesentlichen in fünf Entwicklungsstufen einteilen: Im Mittelalter entstand neben dem ersten Bauernepos »Meier Helmbrecht« (um 1250) die lyrische Dichtung Neidharts von Reuenthal und seiner Nachahmer, die den groben, unhöfischen Bauern in Gegensatz zum höfisch erzogenen Ritter stellen. Verspottung des Bauern aus bürgerl. Standesgegensatz heraus bringt das Fastnachtspiel des 15. Jahrh., mehr derb humoristisch wird der Bauer im Schwank des 16. Jahrh. (Hans Sachs) dargestellt. In der Form der Hirtendichtung gestaltet das 17. Jahrh. bäuerliche Welt zu reinen Kostümdichtungen, im 18. Jahrh. erscheint das ländliche Leben in der empfindsamen (Geßner 「Gessner」) wie in der realistischen Idylle (Maler Müller). Das 19. Jahrh. ist die Zeit der eigentl. → Dorfgeschichte (Bd. 5). Ihr überragendster Vertreter ist Jeremias Gotthelf, dessen Dichtungen mit ihrer epischen Größe und ihrer naturnahen Darstellung bäuerlicher Art zugleich die Grundlage eigentl. B. sind. Die Dorfgeschichte wird abgelöst von der → Heimatkunst (Bd. 8), in der nun die Frage des Standes zurück- und das Motiv der Verwurzelung in der engeren Heimat in den Vordergrund tritt. Brachte die Heimatkunst auch nur wenige größere künstlerische Leistungen auf dem Gebiet der B. hervor, so ist sie doch der Ausgangspunkt für die neueste Entwicklung, die Bauerntum und Bauernschicksal aus ihrem eignen Wesenskern heraus dichterisch erfassen möchte.
Auf dem Gebiet der Lyrik seien die Bauernballaden Lulu von Strauß und Torneys, die Dichtungen von Richard Billinger, Hermann Claudius, Guido Zernatto, bes. Jakob Kneips Gedichtsammlung »Bauernbrot« (1934) genannt, die die Unwandelbarkeit des bäuerlichen Daseins betont. Das Drama trat erst in jüngster Vergangenheit stärker hervor. Aus älterer Zeit seien als Gestalter des von Anzengruber herkommenden bäuerlichen Dramas (Charakterdrama und Bauernkomödie) Ludw. Thoma, Jos. Ruederer, Karl Schönherr, Fritz Stavenhagen erwähnt, aus der Gegenwart Konrad Beste, Richard Billinger, Friedrich Griese (»Mensch, aus Erde gemacht«, 1932), August Hinrichs, H. Chr. Kaergel, A. J. Lippl, Bruno Wellenkamp. Den Hauptanteil an neuester B. hat der Roman. Zu neuem Leben gelangte in der Gegenwart aus naturalist. Zeit »Der Büttnerbauer« von Wilhelm von Polenz (1895). In der Vorkriegszeit entstanden »Judas« von Lulu von Strauß und Torney (1911), »Der Wehrwolf« (1910) und »Der letzte Hansbur« (1909) von Hermann Löns. B. ist auch Hermann Stehrs »Heiligenhof« (1918). In geschichtlicher Vergangenheit spielen Lena Christs »Matthias Bichler« (1914), Paula Groggers »Grimmingtor« (1926), Anton Gabeles »Der arme Mann« (1931), Josefa Berens-Totenohls »Der Femhof« (1934), z. T. die Schwarzwaldtrilogie »Bauernadel« (Gesamtausg. 1933) von Hermann Eris Busse. Deutsches Bauernschicksal in Südafrika ist Gegenstand von Hans Grimms »Olewagen Saga« (1918). Den entwurzelten, durch städt. Zivilisation gefährdeten Bauern behandeln Walter Bauer, («Ein Mann zog in die Stadt«, 1931), Erwin H. Rainalter (»Heimkehr«, 1931) und Konrad Beste (»Das heidn. Dorf«, 1931). Siedlungsromane sind Karl Heinrich Waggerls »Brot« (1930), »Achtsiedel« (1931) von Josef Martin Bauer, »Die Siedler vom Heidebrinkhofe« (1932) von Gustav Schröer. Den Jahreslauf des ländlichen Lebens schildern Karl Benno von Mechows Roman »Das ländliche Jahr« (1930), Karl Heinrich Waggerls »Das Jahr des Herrn« (1933), Johannes Linkes »Ein Jahr rollt übers Gebirg« (1934). Billingers Roman »Die Asche des Fegefeuers« (2. Aufl. 1931), Grieses Dichtungen, bes. die Romane »Winter« (1927), »Der ewige Acker« (1930), »Das letzte Gesicht« (1934), H. Chr. Kaergels Roman »Atem der Berge« (1933), Ernst Wiecherts »Die Magd des Jürgen Doskocil« (1932) bringen durch Steigerung ins Naturdämonische und visionär Mythische das Zeitlose und Ewige bäuerlichen Seins zum Ausdruck.
Bedeutsame Bauernromane des Auslandes sind des Polen W. Reymont Roman »Die Bauern« (1904—09), des Flamen Stijn Streuvels Romane »Knecht Jan« (1902; deutsch 1929), »Der Flachsacker« (1907; deutsch 1918); bes. die Romane skandinavischer Dichter, so Knut Hamsuns »Segen der Erde« (1918), des Isländers Gunnar Gunarsson「Gunnarsson」 »Leute auf Borg« (1912/13), »Die Juwikinger« von Olav Duun (1918—23).
References x
Anthologien. Vermischte Bauern-Lieder aus den besten Dichtern gesammelt (1776); Das deutsche Dorf. Lieder zum Preise von Dorf und Flur, hg. von H. Bothmer (1909); Dorfleute. Dorfgeschichten deutscher Meistererzähler, hg. v. W. Hochgreve (1920); Bauerngeschichten, hg. v. H. Missenharter (1921).
G. Rosenhagen: Dörperliche Dichtung (Reallexikon der deutschen Literaturgesch., hg. v. Merker und Stammler, Bd. 1, 1925/26); A. Bielschowsky: Geschichte der deutschen Dorfpoesie im 13. Jahrh., I: Leben und Dichten Neitharts von Reuenthal (1891); V. Michels: Studien über die ältesten deutschen Fastnachtsspiele (1896); R. Gosche: Idylle und Dorfgeschichte im Altertum und Mittelalter (Arch. f. Literaturgesch., Jahrg. 1, 1870); W. Rehm: Dorfgeschichte (Reallexikon der deutschen Literaturgesch., hg. v. Merker und Stammler, Bd. 1, 1925/26); F. Altvater: Wesen und Form der deutschen Dorfgeschichte im 19. Jahrh. (1930); K. Schulz: Bauernromane (Beih. 13 zur Ztschr. Bücherei- und Bildungspflege, 1933); H. Langenbucher: Dichtung aus Landschaft und Bauerntum (Ztschr. f. Deutschkunde, Jahrg. 47, 1933); R. Petsch: Nordische Sagadichtung in alter und neuer Zeit (Ztschr. für deutsche Bildung, Jahrg. 10, 1934), Der deutsche Bauernroman (Ostdeutsche Monatshefte, Jahrg. 14, 1933/34).

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