hortensj-garden.org

A tiny knowledge park.

Options
Brockhaus
Name a Bevölkerungspolitik
ID b brhe•e15•v21•b•B•Bevölkerungspolitik
Category d entry
isA j Maßnahmen zur Beeinflussung der Bevölkerung eines Staates, quantitativ und qualitativ
Attributes
PageID q p10500—p10600
Scan v Bevölkerungspolitik
Text w

Der Große Brockhaus, 15. Aufl., Ergänzungsband A—Z (1935), S. 105—106.

Bevölkerungspolitik, der Inbegriff der Maßnahmen zur Beeinflussung der Bevölkerung eines Staates hinsichtlich ihrer Zahl (quantitative B.) oder ihres Wertes (qualitative B.). Die Hauptrichtungen der B. sind: 1) die Beeinflussung der natürlichen Bevölkerungsbewegung, also Förderung oder Hemmung der Volksvermehrung, 2) die Hemmung der Fortpflanzung anormaler oder minderwertiger Personen, anderseits die Förderung der Fortpflanzung bei solchen Volksgenossen, die aus eugenischen oder rassenpolit. Gründen als bes. wertvoll angesehen werden, 3) die Aus- und Einwanderungspolitik.
In der Vergangenheit war fast ausschl. die quantitative B. von Bedeutung. Anfänge finden sich bereits im römischen Kaiserreich, wo unter Augustus in den führenden Schichten eine starke Einschränkung der Kinderzahl eingetreten war (Lex Julia et Papia Poppaea aus den Jahren 4 und 9 n. Chr.). Später haben bes. die merkantilistischen Staaten eine tatkräftige, auf Vermehrung der Volkszahl gerichtete B. getrieben, für die in Deutschland das Streben nach Ausgleich der durch den Dreißigjährigen Krieg entstandenen Bevölkerungslücken eine wichtige Antriebskraft war. Im Zeitalter des Liberalismus änderte sich die Stellung zur B. vor allem unter dem Einfluß der Malthusschen Lehre; die von dieser betonte Sorge vor Übervölkerung führte zu dem Bestreben, die Bevölkerungsvermehrung einzudämmen.
Während in den angelsächs. Ländern diese malthusianische Einstellung z. B. auch heute noch die herrschende ist (Bewegung für »birth control«), hat in den meisten Ländern des europ. Kulturkreises der fortschreitende Geburtenrückgang (→ Geburtenstatistik, Bd. 21) zu einer abermaligen Wendung in den bevölkerungspolit. Anschauungen geführt, bes. in den Ländern, in denen sich aus der Kleinhaltung der Kinderzahl bereits ein Bevölkerungsstillstand ergeben hat oder doch in naher Zukunft zu befürchten steht. Es gibt für eine auf Bekämpfung des Geburtenrückgangs gerichtete B. grundsätzlich zwei Möglichkeiten: entweder in geistig-seelischer Richtung die Verstärkung des »Willens zum Kinde«, verbunden mit einer Bekämpfung der rationalistisch-egoistischen Lebensanschauung und der Verfallserscheinungen, die die entscheidenden Ursachen der Kinderbeschränkung geworden sind, oder in wirtschaftlicher Richtung die Erleichterung der auf kinderreichen Familien stehenden Lasten, wobei ein Ausgleich durch eine entsprechende Belastung der Unverheirateten, Kinderlosen und Kinderarmen geschaffen wird. Von großer Wichtigkeit ist auch die Bekämpfung der den Geburtenrückgang unmittelbar herbeiführenden Methoden, bes. der Abtreibung.
Das erste Land, das eine wirksame B. dieser Art betrieb, war Frankreich, das infolge seines großen zeitlichen Vorsprunges im Geburtenrückgang vor den übrigen europ. Völkern dessen ungünstige Wirkungen zuerst in vollem Umfange erfuhr. Bereits durch ein Ges. v. 14. Juli 1913 wurde eine unmittelbare geldliche Unterstützung für kinderreiche bedürftige Familien eingeführt, die durch das Ges. Delachenal v. 2. Aug. 1923 auf alle Kinderreichen ohne Rücksicht auf ihre Bedürftigkeit ausgedehnt wurde; dazu gesellen sich eine Anzahl Vergünstigungen in steuerlicher und anderer Hinsicht. Von der Privatwirtschaft werden diese Maßnahmen des Staates durch die Schaffung von → Ausgleichskassen (Bd. 21) unterstützt. Ähnl. Maßnahmen finden sich auch in Belgien.
Auch das faschistische Italien hat entsprechend der seinem Staatsaufbau zugrunde liegenden Weltanschauung dem dauernd fortschreitenden Geburtenrückgang zu steuern gesucht (Junggesellensteuer v. 14. Dez. 1926; steuerliche Entlastung der kinderreichen Familien; Förderung des Mutter- und Kinderschutzes).
Obwohl der Geburtenrückgang im Deutschen Reiche in der Nachkriegszeit bes. erschreckende Formen annahm, blieb bis 1933 die B. auf wenige und in keiner Weise ausreichende Mittel beschränkt (Kinderzulage für Beamte; Kinderermäßigung bei der Einkommensteuer; seit 1930 Ledigensteuer). Wesentlich entschiedener hat der nationalsozialist. Staat eingegriffen, so zunächst durch die verschärfte Bekämpfung der Abtreibung und der gewerbsmäßigen Unzucht und durch die Einführung der Ehestandsdarlehen, ferner durch soziale Erleichterungen, z. B. Einführung einer Fahrpreisermäßigung für kinderreiche Familien auf der Deutschen Reichsbahn. Bes. wichtig ist in bevölkerungspolit. Beziehung die Steuerreform v. 19. Okt. 1934, durch die die Kinderermäßigungen bei der Einkommensteuer beträchtlich erhöht, bei der Bürger- und Vermögensteuer neu eingeführt, ferner die Freibeträge für Kinder bei der Erbschaftssteuer erhöht wurden. Der Ausgleich wird durch erhöhte Belastung der Ledigen und Kinderlosen herbeigeführt. Zur beratenden Mitwirkung bei den bevölkerungspolit. Maßnahmen der Reichsregierung wurde vom Reichsinnenminister im Juni 1933 ein Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik berufen; als Träger der bevölkerungspolit. Aufklärungsarbeit wurden das »Aufklärungsamt für Bevölkerungspolitik und Rassenpflege« und der »Reichsausschuß für Volksgesundheitsdienst« eingesetzt. Diese Maßnahmen zusammen mit der Bekämpfung des zersetzenden und entsittlichenden Schrifttums, Films usw. und der Schaffung gesicherter polit. und wirtschaftl. Verhältnisse haben zu einer Steigerung der Heirats- und Geburtenziffern geführt.
In der qualitativen B. ist die heute wichtigste Aufgabe die Einschränkung der Fortpflanzung bei den Asozialen und volksbiologisch Minderwertigen, wozu das wirksamste Mittel die Unfruchtbarmachung (Sterilisierung) ist. Gesetzlich ist die zwangsweise Unfruchtbarmachung Minderwertiger zuerst im nordamerik. Staate Indiana 1907 eingeführt worden. Im Deutschen Reiche wurde die Sterilisierung durch das »Ges. zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom 14. Juli 1933 eingeführt. (→ Unfruchtbarmachung, Bd. 19.) — Im weiteren Sinne sind zur qualitativen B. auch die rassenpolitischen Maßnahmen des nationalsozialist. Staates zu rechnen. (→ Rassenhygiene, Bd. 21.)
References x
Harmsen: Bevölkerungsprobleme Frankreichs (1927), Praktische B. (1931); Burgdörfer: Zurück zum Agrar-Staat? (1933), Volk ohne Jugend (2. Aufl. 1934). — Zeitschrift. Archiv für Bevölkerungswissenschaft und B. (seit 1931).

Requested by 18.216.94.152 at 2024-04-19 10:55:18 Europe/Berlin.

About